Ja, ich sollte mal wieder ein paar Zeilen in diesen Blog schreiben. Ich sollte sowieso regelmäßig meine Beiträge liefern. Schließlich müssen wir Menschen für unser Projekt interessieren und Pateneltern als Sponsoren gewinnen. Nur manchmal fällt mir nichts ein oder ich bin so mit den alltäglichen Aufgaben beschäftigt, dass mir die Zeit und oft die Energie fehlen. Wobei wir, Susan und ich, relativ viel Zeit benötigen, für unser tägliches Leben zu sorgen und uns selbst zu versorgen. Einkäufe von Brot, Gemüse und Obst, gelegentlich Fleisch und Fisch und alle Dinge des täglichen Bedarfs müssen geplant werden, da wir nicht alles an einem Platz finden. Brauchen wir Brot, Grünzeug und Käse, müssen wir schon drei verschiedene Einkaufsorte aufsuchen – Supermarkt wegen Brot, die Markthalle und Laden für allgemeine Lebensmittel.
Und die Aufgaben im Zusammenhang mit dem Projekt Bildungspatenschaften erfordern einiges an organisatorischer und schlicht buchhalterischer Arbeit, als auch die Besuche, Treffen und Absprachen mit den Schülern, Studenten und Angehörigen. Die Wege zueinander nehmen immer viel Zeit in Anspruch. In Kigali sind es dichter Verkehr und Staus, außerhalb die Entfernungen und langwierigen Verbindungen über die Hauptverbindungsstraßen.
Ich schreibe immer wieder von unserem Alltagsleben hier, damit sich die Leser in Deutschland und vor allem unsere Pateneltern und Fördere realistischer vorstellen können, wie der Alltag für uns und für die Ruander selbst verläuft und welche Schwierigkeiten und Unwägbarkeiten jeden Tag zu bewältigen sind. Ich hoffe auch Verstehen zu vermitteln und Verständnis zu erreichen, damit keine unrealistischen Erwartungen geweckt werden an die Möglichkeiten der Verwirklichung des Projektes für Bildungspatenschaften.
Immer wieder Mal regen mich Fragen oder Statements von Pateneltern an, etwas zu unseren Kindern und Studenten zu erklären.
Für alle vor 1994 und bis 1998 geborenen Menschen in Ruanda sind die Erinnerungen an den Genozid und die unmittelbaren Auswirkungen in den Jahren danach noch wirksam und in der Regel nicht verarbeitet. Das heißt sie waren alt genug die Grausamkeiten zu erleben, sie waren anwesend als ihre Eltern, Großeltern und Angehörigen ermordet wurden oder sie haben als Kleinkinder und Babys zwar überlebt, sind aber in den ersten Jahren in einer Umgebung aufgewachsen mit nicht mehr existierenden Familienbindungen und einer total zerstörten Infrastruktur. Diese Traumata sitzen tief. Sie werden individuell kompensiert durch aufbauenden Fleiß, außergewöhnliche Motivation zu Lernen und die persönlichen Lebensumstände zu verbessern. Vier unserer Studenten sind 1986/87 geboren, 17 sind zwischen 1990 und 1998 geboren. Die anderen Kinder und Jugendlichen sind schon unter besseren und sich ständig verbesserten Umgebungsbedingungen aufgewachsen, sind aber alle innerhalb ihrer Familien in der nächsten Generation vom Genozid betroffen und als Kinder oft die einzig Überlebenden. Sie haben zum Teil keine Großeltern oder sonstigen Verwandten wie Onkel, Tanten, Nichten, Neffen, Cousins und Cousinen. Da in Ruanda die erweiterte Familie, das Überleben sichert, gehören diese Kinder auch zu den Ärmsten und denen, die absolut keine Chance hatten ihre Traumata aufzuarbeiten. Die jetzt Dreißigjährigen schweigen über diesen Teil ihrer Kindheit, haben aber eine gewisse Resilienz entwickelt und leben und lernen damit, schließen ihre Ausbildung letztendlich ab. Die etwa Zwanzigjährigen haben das Erlebte als Normalität ertragen. Sie sind in die neue Zeit hineingewachsen und nie hat jemand mit ihnen die frühe Kindheit aufgearbeitet und noch weniger das selbstverständliche Leben mit manchmal nur einer Angehörigen oder einer ehemaligen Nachbarin der ausgelöschten Familie als fürsorgende Person. Manche Väter unserer Kinder sind als Massenmörder verurteilt und werden lebenslang im Gefängnis bleiben. Einige Mütter haben ihren Kindern erzählt, der Vater sei tot, da sie vor Scham und Hilflosigkeit die Kinder vor der Realität bewahren wollen. Sie sind auffällig gehemmt im Umgang mit Fremden. Diese jungen Leute sind jetzt in dem Alter ihre Secondary Ausbildung abzuschließen. Sie sind relativ schlecht in Allgemeinwissen und Sprachen ausgebildet. In ihre Schulzeit fiel die Umstellung von Französisch auf Englisch als Schulsprache. So sprechen sie weder richtig Französisch noch Englisch. Sie haben in den letzten Jahren ihrer Ausbildung von den verbesserten Curricula in den technischen Fächern profitiert und besitzen ein recht gutes fachspezifisches Wissen und entsprechende Fertigkeiten, aber sonst wissen sie nichts.
Es ist ein einfaches in Europa von den Studenten und Kindern, die wir unterstützen, die als die Ärmsten immer schon vielfach benachteiligt sind, zu erwarten, dass sie verstehen, wie sie überhaupt in den Genuss der finanziellen Unterstützung kommen. Aber Ruanda ist von Deutschland genauso weit entfernt wie Deutschland von Ruanda. Der Unterschied ist, wir haben die Möglichkeiten und Mittel uns kundig zu machen über die Verhältnisse und Entwicklungen in Ruanda. Ein jeder kann sich auch in das Flugzeug setzen und sich persönlich ein Bild von dem Land, den Leuten und vor allem seinem Patenkind und dessen Lebensverhältnissen machen. Ein Schüler in Ruanda lernt noch nicht einmal sein eigenes Land und die Nachbarländer richtig kennen. Von Deutschland und Europa weiß ein Patenkind praktisch nichts. Ich wünsche mir, dass Pateneltern es auch als ihre Bringschuld verstehen, sich ihrem Patenkind bekannt zu machen und ihm so viel Informationen wie möglich zu ihnen persönlich und ihren Lebensumständen zukommen zu lassen. Dies wird nicht nur sehr hilfreich sein einen persönlichen Kontakt zwischen Pateneltern und Patenkindern zu entwickeln, ich halte es auch für eine notwendige Voraussetzung für eine persönliche Kontaktaufnahme, dass die Pateneltern in Vorleistung treten. Wir sind in der stärkeren Position und sollten dem Schwächeren hilfreich unsere Hand geben.
Ich werde in den nächsten Wochen versuchen zu den Realitäten in Ruanda, die unser Patenschaftsprojekt berühren, beeinflussen und nachhaltig gestalte, noch einiges zu schreiben. Ich habe mittlerweile hinreichend Erfahrung vor Ort, um darstellen zu können, was mit diesem Projekt und der Struktur der Unterstützung zur Ausbildung von armen und benachteiligten Kindern und Jugendlichen in Ruanda wirklich geleistet werden kann – und vor allem, was nicht.
Denn je mehr beide Gruppen voneinander persönlich und von den Lebenswirklichkeiten in Deutschland und Ruanda wissen, umso stärker und stabiler wird dieses Projekt sich entwickeln können.
Und nun zum Alltag des Lebens in Ruanda und in meinem Wohnplatz der Rinderfarm:

Warten auf den Regen

Es ist heiß. Wir haben immer noch trockene Saison und nun ist es seit ein paar Wochen richtig trocken. Die Akazien treiben noch mit ganz zart büscheligen Blättchen aus, die Bananenstauden, die Mangobäume und die Avocadobäume und die großen Schattenbäume sind noch belaubt und bilden grüne Flecken wenn ich von meinem Platz über das hügelige Land schaue. Die Felder, Wiesen und Grasanpflanzungen für Rinderfutter sind braun vertrocknet.
Wir hoffen auf den baldigen Beginn der Regenzeit. Der Staub der trockenen Erde wird durch jeden Windhauch aufgewirbelt und noch heftiger durch die Autos und anderen Fahrzeuge, die dichte Staubfahnen hinter sich her ziehen, die alles ringsum einhüllen. Nicht nur die Wiesen und Felder sind schon seit Wochen braun und ausgetrocknet, auch die Blätter der Bäume und Büsche sind von der rotbraunen Staubschicht bedeckt.
Vorige Woche hat es zum ersten Mal seit vielen Wochen am Abend richtig heftig geregnet. Schon den Tag zuvor fielen ein paar Tropfen Wasser vom Himmel und ein paar Tage zuvor dröppelte es ein paar Minuten. Dieses Mal war es ein kurzer heftiger Regenguss und ein Gewitter zog über unseren Ort.
Nun hat der Regen die erste Staubschicht abgespült. Ich hoffe, der regelmäßige Regen der Regenzeit stellt sich bald ein und das Land wird grün, die Blätter der Bäume sprießen, die Blumen erstrahlen in Farbenpracht und die Luft wird klar und sauber. Was stören dabei ein paar Wasserlöcher auf den Wegen und das von Matsch gezeichnete Auto. Wasser vom Himmel ist ein Segen.
Ich weiß es außerordentlich zu schätzen, dass ich seit unserem Umzug auf die Farm ständig fließend Wasser habe. Immer, wenn ich dusche, das Geschirr reinige und die Wäsche waschen lasse und vor allem beim Kochen, denke ich daran, dass ich mich mehr als zwei Monate mit 5 Liter Wasser zur Körperreinigung habe beschränken müssen und zum Kochen und Reinigen des Geschirrs habe ich literweise abgemessen. Wie oft haben wir auf dem Trockenen gesessen und unseren Wassermann antelefoniert, um zwei Kanister Wasser geliefert zu bekommen.
Auf der Farm wird das Wasser sobald es fließt, in Vorratscontainern gespeichert. Wir haben einen Tank von 1 m³ und die Rinder 3 m³. Normal ist, dass der Wasserversorger an mindestens zwei Tagen in der Woche liefert. Damit reichen wir, aber es ist auch zweimal vorgekommen, dass eine Lieferung zu spät kam oder wir zu viel Wasser aus dem Vorrat verbraucht hatten. Für jeweils einen Tag haben wir uns das Wasser von den Kühen geliehen.
An den letzten drei Tagen sind nachmittags schon dicke Wolken aufgezogen und gestern stand im Osten eine graue Wolkenwand. Der Regen kündigt sich an. Die Rinder brauchen dringend frisches Grünfutter, nachdem sie jetzt wochenlang das trockenen Gras und kleingehackte Bananenstämme gekaut haben.

Und heute, da ich den Text beende, hat es am späten Nachmittag den ersten richtigen Regenguss gegeben. Die Regenzeit hat begonnen – was eine Freude.

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